…oder auch „Warum ramm‘ ich mir nicht gleich eine Gabel ins Aug?“. Na gut, so schlimm ist es nicht, aber kann man aktuell als professioneller Fotograf vollends auf Linux und die dort heimischen Programme umsteigen? Hier eine Lagebeurteilung:
Die Ausgangslage
Aktuell begeistert Microsoft mit dem aktuellen – mehr oder minder – Gratis-Betriebssystem Windows 10. Damit einhergehend, machte sich der Softwareriese leider dank nicht mehr vorhandener Privatsphäre und umfassenden Spionage- und Werbeeinstellungen ziemlich unbeliebt. Vor allem bei mir. Leider läuft ein Großteil meines fotografischen Workflows mit Programmen, die ausschließlich für Windows, manchmal auch für Mac vorhanden sind. Adobe Lightroom und Photo Mechanic sind da die großen Brocken, auf die ich eigentlich nicht verzichten möchte.
Was macht man also? Umstieg auf Mac/OS X? Nein danke, Preis- und Firmenpolitik der Jobs-Fetischisten sind wirklich nichts, mit dem ich mich abgeben will. Linuxdistributionen scheinen also der Weg in die Zukunft zu sein – außerdem ist das ganze meiste Zeug gratis und man spart sich dann doch so einiges an Geld (vorausgesetzt man rechnet sich nicht den eigenen, theoretischen Stundenlohn für den Umstieg aus).
Die Anforderungen
Ich will
- zu 100 % auf Linux umsteigen
- meinen Workflow beibehalten oder gar optimieren
- meine bisherigen Bearbeitungen ohne Einschränkungen übernehmen
- die Qualität meiner Resultate beibehalten oder gar erhöhen
- keine Einbußen haben, die sich mit einem Verbleib unter Windows vermeiden lassen
- mich nicht von vorne bis hinten ausspionieren lassen
Und vor allem will ich eins: meine Ruhe haben und keine nervigen Dauerupdates mit Neustartzwang – HERHÖREN, WINDOWS! – erleiden müssen….
Linux Distributionen – die Kandidaten
Zur Auswahl stehen dem geneigten Umsteiger unzählige schöne, einzigartige, nützliche und teils hochspezialisierte (beispielsweise Kali Linux für „Hacker“) Distros. Die Qual der Wahl ist also um einiges höher, als bei der täglichen Auswahl des Instagramfilters, mit dem man sein Frühstück ver-vintagen möchte.
Ubuntu/Kubuntu/Xubuntu und was ist überhaupt der Unterschied?
Ubuntu ist seit Jahren der Platzhirsch im Linuxwald und kaum noch wegzudenken. Die Distribution ist beinahe im Alleingang für die stetigen Beliebtheitsanstiege der alternativen Systeme verantwortlich.
Für Ubuntu spricht die gigantische Community im Hintergrund und das präzise Uhrwerk, mit dem neue Versionen herausgebracht werden. Negativ – beziehungsweise Gewöhnungssache – ist die Benutzeroberfläche „Unity“.
Aber Ubuntu gibt es zum Glück auch in anderen Geschmackssorten. Kubuntu zum Beispiel ist die Linux-Distro mit KDE als Benutzeroberfläche. Ebenjene Oberfläche, die in der aktuellen 15.04-Version der Distro an Poliertheit, modernem Design und genereller „Sexyness“ nur von einer anderen Distro überboten wird – dazu aber später mehr.
Weitere Subsysteme sind dann noch Lubuntu und Xubuntu die mit jeweils mit Benutzeroberflächen aufwarten, die eher für ältere und leistungsschwächere Computer entworfen wurden: LXDE und Xfce.
Wem das alles nicht zusagt, der kann auch noch auf GNOME- und MATE-Oberflächen zurückgreifen. Im Endeffekt entscheidet nur eins, welche Ubuntu-Distro man wählen soll: der eigene Geschmack.
Persönlich habe ich mich aus folgenden Gründen gegen die *buntu-Familie entschieden:
Ubuntu: nö, Unity ist einfach nicht das, was ich mir als gelungene Benutzeroberfläche vorstelle.
Kubuntu: ach, so schön, so sexy, so …. unintuitiv! Grundlegende Sachen, die man als langjähriger Windowsbenutzer gewohnt ist, wie zum Beispiel das Aufrufen des Startmenüs durch Druck auf die Windows-Taste (in der Linux-Welt nennt man das dann übrigens die „Super“-Taste) funktioniert nicht out of the box, sondern benötigt Extraspielereien. Auch das einfache Aufrufen der Kommandozeile geht nur über Umwege. Zudem schien die 15.04-Version nicht gerade mit Stabilität zu glänzen.
L-/Xubuntu: Lubuntu fiel im Voraus aus dem Rennen, da mein Rechner zum Einen leistungsstark genug für anspruchsvollere Oberflächen ist und zum Anderen die LXDE-Oberfläche stinkhässlich ist. Xubuntu hingegen fiel eigentlich nur raus, weil es nach wenigen Stunden nicht die erwünschte „Liebe auf den ersten Blick“ war.
MATE-Varianten wurde nicht angetestet, die GNOME-Oberfläche hingegen wurde bei der nächsten Linux-Distribution auf den Prüfstand gestellt….
Fedora – der Profi
Die Spielwiese der Firma Red Hat, Inc. glänzt mit topaktuellen Komponenten und einer polierten GNOME-Oberfläche. Eigentlich alles wirklich im Topdesign und ohne große Mangelerscheinungen. Hut ab (hohoho, Wortspiel) an Fedora und Red Hat, Inc.
Aber wie auch schon bei Kubuntu fehlte hier das gewisse Etwas und der Support ist nicht ganz so ausgeprägt, wie bei der *buntu-Familie.
OpenSUSE – der Nerd
OpenSUSE ist – ähnlich wie Fedora für Red Hat, Inc. – die Test- und Spielwiese von SUSE Linux GmbH. Als besondere Features kann diese Distro mit dem Wartungstool YaST aufwarten, in dem eine wirklich riesige Anzahl an Einstellungsmöglichkeiten präsentiert wird. Vergleichbar zirka mit den Systemeinstellungen unter Windows.
Einer der größeren Nachteile von OpenSUSE ist die mitgelieferte Desktopoberfläche KDE in der älteren Version 4 – klar, man könnte auch die GNOME-Variante nehmen, aber nach mehr und mehr Herumspielerei mit GNOME, bin ich auch damit nicht warm geworden. KDE 4 leidet, wie auch Kubuntu mit KDE 5, unter dem Fehlen von grundlegenden Funktionen, die man von Windows gewohnt ist. Außerdem ist KDE 4 vieles, aber garantiert nicht schön. Ein nettes Feature – obwohl man über die Sinnhaftigkeit streiten kann – sind definitiv die KDE-typischen Minianwendungen, die man auf dem Desktop platzieren kann, so wie die große Analoguhr im folgenden Screenshot.
Kurzfazit: danke für’s Mitspielen, viel Glück beim nächsten Mal.
Arch Linux – der Obernerd
oder: „Da bastel ich mir doch lieber mein eigenes System aus einer kaputten Waschmaschine, zwei Stricknadeln und einem schimmligen Apfel“
Arch Linux ist Nerdwesen in Reinkultur. Geliefert wird bei dieser Distro nichts. Betriebssystem aufsetzen? Viel Spaß mit der Kommandozeile und stundenlangen Suchen nach den richtigen Arbeitsschritten. Grafische Oberfläche? Selbst installieren! Grundlegende Programme? Selbst installieren! Irgendwas?! SELBST INSTALLIEREN!
Klar, es gibt Leute, die es lieben, sich eine absolut maßgeschneiderte, uneingeschränkte und kaum erreichbare Einzellösung zu basteln. Wie beispielsweise Paanini in diesem Artikel beweist.
Ich bin keiner davon, auch wenn ich mich jetzt nicht als technologisches Nackerbatzl bezeichnen würde. Ein Umstieg auf Linux soll kein neues Hobby à la 1:100 Modell der HMS Victory mit 100.000 Einzelteilen werden, sondern mir einen vernünftigen Workflow ermöglichen.
Elementary OS – die Schönheit
„Uiiii!….. Uiiiiiiiiii!…… Wow!……………….. Hach!…“ – so zirka hört man sich an, wenn man zum ersten mal das new kid on the block startet. So schön, so OS X-nahe*, so …. instabil. Elementary OS ist erst vor kurzem geschlüpft und leidet noch massiv unter Kinderkrankheiten. Einige Installationsversuche endeten mit einem nicht installierbaren Bootloader, wegen dem dann natürlich das gesamte System nicht hochfahren konnte. Die Liveversion hangelte sich von einem Aufhänger zum nächsten. Prinzipiell also nichts, was man in einem aktiven Arbeits-/Produktionssystem einsetzen sollte.
Auf meinem Radar bleibt dieser wunderschöne OS X-Klon aber dennoch.
*OS X – bei aller Abneigung gegen Apple, deren Preis-, Firmen- oder Nachhaltigkeitspolitik – kann man als eins der schönsten Betriebssysteme bezeichnen, die aktuell im Umlauf sind.
Linux Mint – der Allrounder
Wer ist denn diese schöne Unbekannte? Linux Mint – eine Abspaltung von Ubuntu – ist hierzulande eher wenig präsent, obwohl die Distribution schon seit Längerem die Top-Liste von Distrowatch anführt. Zu recht, wie man meinen kann:
Mit einer frischen Oberfläche namens Cinnamon (oder wahlweise KDE, MATE oder Xfce) präsentiert sich hier ein solides, poliertes und äußerst bequem zu bedienendes Linux mit umfassenden Anpassungsmöglichkeiten und einem tollen Fahrgestell.
Mit minimalen Umbauten sieht die Cinnamon-Version verdammt gut aus, lässt sich leicht warten und leistet sich kaum Schnitzer… mal abgesehen vom Fotomanager DigiKam, dazu später aber mehr.
Vorkonfigurierte, leicht zu wechselnde virtuelle Desktops, Shortcuts für die Kommandozeile, perfekte Integration der Windowstaste, ein umfangreiches Softwarecenter – hier bleiben kaum Wünsche offen. Als Ubuntu-Ableitung verfügt Linux Mint auch über eine umfassende Community und die meisten Problemlösungen der *buntu-Systeme lassen sich 1:1 in Linux Mint umsetzen.
Top! Wir haben einen Gewinner!
Wie es weiter geht, kommt in einem zukünftigen Artikel. Dann geht’s um die dauereingesetzten Windowsprogramme, ihre Linux-Gegenstücke und die jeweiligen Unterschiede.